Der jüngste Anstieg der globalen Anleiherenditen ist zum Teil dadurch zu erklären, dass der Markt höhere Defizite der Regierungen und damit ein größeres Angebot an Staatsanleihen erwartet. Ein Teil dieses Renditeanstiegs dürfte sich umkehren, wenn sich die Inflation den Zielen der Zentralbanken nähert und die Geldpolitik weniger restriktiv ist. Aber die Zentralbanken werden im Laufe der Zeit auch das Angebot an Staatsanleihen erhöhen, indem sie ihre beispiellos großen Bilanzen abbauen. Diese reichen von 30% des US-BIP bei der US-Notenbank (Fed) bis zu 50% des Eurozone-BIP bei der Europäischen Zentralbank (EZB) – deutlich mehr als der durchschnittliche Betrag von etwa 10% des BIP, den die Zentralbanken vor der Großen Finanzkrise im Jahr 2007/2008 hielten.
Die Bank of England (BoE), die EZB und die Fed haben bereits ihre Investments reduziert und alle drei haben angedeutet, dass sie planen, ihre Bilanzen im Laufe der Zeit erheblich zu normalisieren. Ihr Ziel ist es, „aus dem unkonventionellen Modus“ herauszukommen und die Geldpolitik hauptsächlich über Zinspolitik zu betreiben. Einige Zentralbanken möchten zur Straffung der Geldpolitik möglicherweise auch mehr Staatsschulden auf dem Markt platzieren.
Große Zentralbanken haben damit begonnen, ihre Bilanzen zu reduzieren
Ob sie dies auf geordnete Weise schaffen können, ohne viel höhere Renditen auszulösen bleibt abzuwarten. Da die Märkte nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage funktionieren und nun viel mehr Anleihen aufnehmen müssen, könnte ein Überangebot an Anleihen zu höheren Renditen führen. Auch in Hinblick dessen, dass die Regierungen weiterhin große Haushaltsdefizite aufweisen, wodurch ebenfalls das Angebot an Staatsanleihen steigt.
Der Abbau der Notenbankenbilanzen muss schrittweise erfolgen und sich wahrscheinlich über viele Jahre erstrecken, da die Anleihebestände der Zentralbanken groß sind – etwa 8 Billionen USD bei der Fed, 5 Billionen EUR bei der EZB und 800 Mrd. GBP bei der BoE. Ein schrittweiser Ausstieg würde auch ihre potenziellen Verluste verringern, da sie fällig werdende Vermögenswerte in höher verzinsliche Schuldtitel reinvestieren als in niedrig verzinsliche Anleihen, die sie in Zeiten niedriger Zinsen gekauft haben.
Einige Zentralbanker haben argumentiert, dass die langfristigen Bilanzen wohl viel größer sein müssen als vor der globalen Finanzkrise oder dem Beginn unkonventioneller Geldpolitiken wie der quantitativen Lockerung (Ausweitung der Geldmenge durch eine Zentralbank, indem sie Wertpapiere, wie zum Beispiel Staatsanleihen, kauft). Aufgrund des säkularen Wachstums der Schuldenmärkte, häufiger politischer Eingriffe zur Erreichung von Finanzstabilitätszielen, einer höheren Nachfrage nach Bankreserven und einem höheren Bargeldumlauf werden die Zentralbanken unweigerlich über größere Bilanzen verfügen als vor der quantitativen Lockerung. Eine vernünftige Annahme wäre eine Bilanz von durchschnittlich etwa 20% des BIP.
Über einen ausreichend langen Zeithorizont – zehn Jahre und mehr – sollte dies beherrschbar sein, aber es wird entscheidend davon abhängen, wie viele Schulden die Regierungen machen. Besonders besorgniserregend sind die fiskalischen Aussichten für die USA. Aktuelle Prognosen des US Congressional Budget Office zeigen, dass die US-Bundesverschuldung von 33 Billionen US-Dollar in diesem Jahr auf weit über 50 Billionen US-Dollar im Jahr 2033 ansteigt. In der Eurozone und im Vereinigten Königreich sind die Aussichten dank vorsichtigerer Haushaltspläne etwas optimistischer. Aber auch hier wird es kaum fiskalischen Handlungsspielraum geben, und Pläne zur Haushaltskonsolidierung werden bei anhaltend hohen Renditen eine Herausforderung darstellen.
Die Pläne der Zentralbanken, ihre Bilanzen zu reduzieren, könnten ferner durch andere Kreditanforderungen, auch seitens des öffentlichen Sektors, durchkreuzt werden. Während ein Großteil der sehr umfangreichen Mittel, die für den Übergang zu Netto-Null-Emissionen erforderlich sind, vom privaten Sektor kommen müssen, könnte auch der Beitrag des öffentlichen Sektors erheblich sein. Ein ungünstigerer geopolitischer Ausblick könnte die Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben erhöhen. All diese zusätzlichen Ausgaben könnten zu strukturell höheren Zinssätzen führen, mit denen die Zentralbanken zu kämpfen haben werden.
Eine wichtige Schlussfolgerung ist, dass die quantitative Straffung unter genauer Berücksichtigung der finanziellen Bedingungen und der Nachfrage des Marktes nach Staatsschulden durchgeführt werden muss. Ein jährliches Reduzierungsprogramm nach einer bestimmten Formel oder ein festes Endziel sind möglicherweise nicht ideal oder gar machbar.
Der Übergang zu einem weniger akkommodierenden geldpolitischen Kurs wird Anleihen mit der Zeit attraktiver machen. Das zusätzliche Angebot an Staatsanleihen dürfte die Marktrenditen insbesondere bei längeren Laufzeiten in die Höhe treiben und zu einer steileren Renditekurve führen. Länder mit größerer Schuldenlast könnten einen stärkeren Anstieg ihrer Kreditkosten verzeichnen. Allerdings wird die Entwicklung der Zinssätze nicht linear sein, weshalb Anleger bei der Duration einen flexiblen Ansatz verfolgen sollten. Ein ausreichend langer Zeithorizont und eine schrittweise Änderung der Politik dürften den Märkten jedoch ausreichend Zeit zur Anpassung geben. Auch inländische Anleger werden eine größere Rolle bei der Aufnahme des zusätzlichen Angebots an Staatsanleihen spielen.
Das neue Umfeld mit höheren Renditen erzeugt bereits eine starke Nachfrage von Anlegern, die sich höhere langfristige Erträge sichern möchten. Höhere Renditen der sichersten Staatsanleihen bedeuten, dass andere risikoreichere Vermögenswerte wie Aktien (die gegenüber sicheren Staatsanleihen eine Risikoprämie bieten) attraktiver bewertet werden müssen. Im Vergleich zur akkommodierenden Politik der quantitativen Lockerung dürfte es zu einem weniger wahllosen Anstieg der Vermögenspreise kommen. Anleger müssen sich stärker auf die Unternehmensfundamentaldaten und die Identifizierung technologischer und produktiver Veränderungen konzentrieren.
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